Geschockt und fassungslos hören wir die Nachrichten aus der Ukraine und sehen die Bilder von Explosionen, Verwundeten und Getöteten, von verzweifelten Menschen auf der Flucht. Wenn dieser Text erscheint, ist Kiew vermutlich eingenommen und die ukrainische Regierung hat wahrscheinlich schon vor der Übermacht des russischen Militärs kapituliert. Wieder einmal müssen wir ohnmächtig zusehen, wie Menschen geopfert werden auf dem Altar nationaler Interessen und Ideologien. Den verzweifelten Betroffenen versichern wir, solidarisch zu sein, aber was bedeutet das konkret? Die angekündigten Bestrafungsmaßnahmen scheinen „eingepreist“ zu sein – längst schon miteingerechnet im grausamen Spiel um die Macht.
Mit unserer Ohnmacht kommen wir vor Gott. Wir suchen Worte des Betens, denn wie anders sonst könnten wir unserer Verzweiflung Einhalt gebieten? Und wir schauen auf Jesus, der beim Rangstreit seiner Schüler klar Stellung bezieht:
„Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Großen ihre Vollmacht gegen sie gebrauchen. Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der erste sein will, soll euer Sklave sein. Wie der Menschensohn nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.“
(Mt 20, 25-28)
Jesus hat seine Überzeugung mit dem Leben bezahlt. Ein Märtyrer des 20. Jahrhunderts war der damalige UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld, dessen Flugzeug in der Nacht vom 17. auf den 18. Sept. 1961 im Grenzgebiet zwischen Kongo und Sambia abgeschossen wurde. Nach seinem Tod fand sich in seinem Nachlass ein geistliches Tagebuch, das unter dem Titel „Zeichen am Weg“ veröffentlicht wurde und das bis heute für viele Menschen ein zuverlässiger Begleiter auf dem eigenen spirituellen Weg ist. Zwei Einträge daraus passen zur aktuellen Situation:
„Das größte menschliche Gebet bittet nicht um den Sieg, sondern um Frieden.“
Und:
„Bete, dass deine Einsamkeit der Stachel werde, etwas zu finden, wofür du leben kannst,
und groß genug, um dafür zu sterben.“
Wofür lebe ich? Wofür bin ich bereit zu sterben?
Sr. Hildegard Schreier hat Philosophie und Theologie studiert. Missionarin Christi ist sie seit 1985 und seit 2010 Generalleiterin des Ordens.